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Magdeburger Erklärung - der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH)
Der Neo-Liberalismus hat deutliche Spuren hinterlassen: Nicht nur erleben wir die Zunahme von Armut und Armutsrisiken, von unzureichender Bildung vor allem am unteren Rand der Gesellschaft, von sozialer Ausgrenzung und vermehrtem Hilfebedarf.
Wir sehen auch, wie immer mehr Risiken privatisiert und individualisiert werden,wie Eltern ungeachtet ihrer sozialen Lage und ihres sozialen Vermögens verstärkt in Verantwortung genommen werden, wie vermehrt soziale Härte gegen Unangepasste ins Feld geführt und sozialer Ausschluss praktiziert wird. Im Vordergrund stehen zu korrigierende Verhaltensweisen, der Ruf nach Rigidität und Kontrolle wird immer lauter, während von den sozialen Verhältnissen und Lebensbedingungen der Menschen kaum mehr gesprochen wird.
Wir erleben zugleich, wie Soziale Arbeit - und damit auch Erziehungshilfe - immer stärker wettbewerbsorientiert und warenförmig erbracht werden sollen und wie die Soziale Arbeit marktförmig zur Aktivierung beitragen soll, obwohl sich Prozesse der Hilfe, der Erziehung und Bildung in ihrer Binnenstruktur gerade nicht nach (zeitökonomischen) Marktprinzipien organisieren lassen. Ohne zu bestreiten, dass mit den Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe sinnvoll und sparsam umgegangen werden muss, ist doch vielerorts zunehmend eine simple Kosten-Nutzenrechnung zu beobachten, die Bildungs- und Erziehungsvorgänge auf die Herstellung von Produkten reduziert.
Auch in den erzieherischen Hilfen sind überdies Prozesse erkennbar, die selektieren. Es werden Hilfen konzipiert, die sich nur noch den aussichtsreichsten Fällen widmen,es findet auch hier zunehmend Exklusion statt. Die neue (alte) Härte hat ihren Platz wieder gefunden, erkennbar z. B. an der diskursiven Aufwertung von Zwang, an dem als unausweichlich angesehenen Ausbau der Plätze in geschlossener Unterbringung, in den alltäglicher werdenden Grauzonen von Rechtsverletzungen und Time-Out-Räumen in den stationären Hilfen und an den Verschärfungen im Jugendgerichtsgesetz,um nur einige zu nennen.
Vor diesem Hintergrund fordert die IGfH gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ihrer Jahrestagung "Erziehungshilfen - mehr als Netz und doppelter Boden. Gemeinsam Perspektiven schaffen!" in Magdeburg:
1.
Die im professionellen Feld der Hilfen zur Erziehung erreichten Standards müssen gesichert und ausgebaut werden. Die IGfH fordert dazu auf, Sparmaßnahmen im Bereich der Erziehungshilfen umgehend auszusetzen bzw. zurückzunehmen. Ungeachtet der Notwendigkeit, mehr in die frühkindliche Bildung und Betreuung zu investieren, kann es nicht angehen, hier einseitig Umschichtungen innerhalb der Jugendhilfeetats zu Lasten der jungen Menschen bzw. der Jugendförderung und -hilfe zu tätigen.
Vielmehr sollte die solidarische Grundhaltung in der Gesellschaft, insbesondere im Hinblick auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen, belebt und weiter ausgebaut werden.
2.
Die IGfH fordert und unterstützt die weitere Qualifizierung der erzieherischen Hilfen. Neben der bestehenden Vielfalt muss aber auch Raum (und Geld) bereitgestellt werden für neue, innovative Ansätze und Forschung. Die IGfH erinnert nachdrücklich an die Bedeutung der Ausbildung und appelliert an die Ausbildungsstätten (Fach- und Hochschulen), insbesondere in den neuen Ausbildungsgängen, die Bedarfe der erzieherischen Hilfen angemessen zu berücksichtigen. Dies scheint derzeit überwiegend nicht der Fall zu sein, obwohl gerade in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in der Entwicklung neuer Methoden und neuen Wissens im Feld der erzieherischen Hilfen erzielt wurden. Die IGfH wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass neue fachliche Wissensbestände rasch und umfassend in die Praxis eingeführt werden. Sie wirbt für enge Bündnisse von Praxis und Ausbildung, von Theorie und Praxis und fordert, die Fort- und Weiterbildung nicht kurzsichtig aus ökonomisch-wettbewerblichen Gründen zu vernachlässigen. Wir beobachten mit Sorge, dass zunehmend MitarbeiterInnen für Fort- und Weiterbildung nicht mehr freigestellt werden und kaum noch finanzielle Zuwendungen erhalten.
3.
"Keiner darf zurückgelassen werden"! Dies fordert die IGfH ausdrücklich und in besonderem Maße für die den Erziehungshilfen anvertrauten jungen Menschen. Insbesondere die Bildungs- und Arbeitschancen dieser Kinder und Jugendlichen müssen in der Zukunft stärker im Fokus stehen. "Keinen zurücklassen" heißt auch, den geschlechtspezifischen Problemlagen von Mädchen und Jungen Rechnung zu tragen und für vermeintliche Problemgruppen oder junge Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen, wie z. B. haftentlassene Jugendliche, Drogen konsumierende Jugendliche, sich prostituierenden Jugendliche, junge Menschen mit Migrationshintergrund und junge Volljährige, gute und angemessene Hilfen zu entwickeln anstatt sie auszugrenzen und abzuschieben. Auch Kinder und Jugendliche, die als "besonders schwierig" gelten, sind so gut wie möglich in ihrer Entwicklung zu fördern; ihre Rechte gilt es in besonderem Maße zu wahren und zu achten. Dies bedeutet vor allem, dass gerade hier die internen Strukturen und die bestehenden Aussonderungsmechanismen innerhalb der Jugendhilfe kritisiert sowie kritisch reflektiert werden müssen und diesen Tendenzen bewusst entgegengesteuert werden muss.
In diesem Zusammenhang wendet sich die IGfH erneut gegen die rechtlich und pädagogisch umstrittene Praxis der "geschlossenen Unterbringung" in all ihren Facetten und fordert einen Rechtsanspruch auf Erziehung in Freiheit und ohne Gewalt! Erzieherische Hilfen bieten "lohnende Lebensorte" - hinter diese Forderung darf weder aus ökonomischen noch aus politischen Gründen zurückgegangen werden.
4.
Die IGfH fordert, dass das seit Jahren von ihr besonders bedachte und beförderte Thema der Beteiligung und der Rechte von Kindern, Jugendlichen und Familien in der Praxis stärker verankert und berücksichtigt werden muss. Die umfassende Partizipation und die Berücksichtigung des Willens der Beteiligten (der gleichberechtigten Mädchen, Jungen und Sorgeberechtigten) soll keine Ausnahme, sondern die Regel in sämtlichen Einrichtungen und Hilfeprozessen sein. Dies zielt auf eine konsequente Demokratisierung der Praxis der Hilfegewährung und aller Institutionen der Jugendhilfe. Dazu braucht es aber auch mündige MitarbeiterInnen, die selbst unter Bedingungen von demokratischer Beteiligung und Geschlechtergerechtigkeit arbeiten und eine angemessene Vergütung erhalten.
5.
Da die eingangs skizzierten Entwicklungen längst nicht mehr nur im nationalen Raum erfolgen und nach nationalen Maßstäben bewertet werden, sondern zunehmend Entwicklungen und Rahmenbedingungen auch international (zumindest im EU-Rahmen) mit bestimmt werden, wird die IGfH weiterhin dafür sorgen, dass die Entwicklungen der Erziehungshilfen in Deutschland mit den internationalen Entwicklungen verglichen werden. Der internationale Austausch soll dabei eine gemeinsame Analyse der Entwicklungsperspektiven von Erziehungshilfen befördern. Die IGfH ruft dazu auf und setzt sich dafür ein, die internationalen Kontakte insgesamt zwischen den Fachkräften und Einrichtungen intensiver zu fördern.
Peng, Peng, Hände hoch und wir tanzen
Der Partytrend des Sommers:
Berliner Jugendliche verabreden sich zu illegalen Feiern auf Brücken, in Parks und Sparkassen.
In: ZEITmagazin Leben. Heft 28/07, Seiten: 10-16.
Kurzbeschreibung:
Die Journalistin Lara Fritzsche hat in der Berliner Partyszene recherchiert und ist auf ein interessantes Phänomen gestoßen:
Eine eingeschworene Gemeinschaft von 20-Jährigen hat das unangemeldete Feiern im öffentlichen Raum für sich entdeckt. Lediglich durch Mund- (SMS-) propaganda beworben geht es den Jugendlichen natürlich zu allererst ums Feiern. Aber auch etwas "Räuber und Gendarm" gehört dazu, denn sobald die Polizei auftaucht muss die Tanzgemeinde flüchten. Oder sie lässt sich widerstandslos vertreiben und sucht eine neue "Location" auf. Nicht zuletzt kommt ein gewisses Selbstbewusstsein dazu: "Wir ergaunern ja nur, was uns eigentlich gehört, wir sind schließlich Bürger von Berlin".
Ein lesenswerter und gut bebildeter (Ragner Schmuck) Beitrag.
Einzusehen in der Infothek der Fachstelle für Prävention.